Sommerausflug auf dem Kleinstadtpflaster

Sommerausflug des Soldiner Kiez e.V. nach Bernau, vor dem Stadttor mit Hungerturm. Foto: Stefan Höppe.

Wer mit dem Soldiner Kiez e.V. auf Reisen geht, der*die kann was erleben. Vor allem, wenn Diana Schaal den Trip vorbereitet hat und so manches zu erzählen weiß. So fuhren wir am 24. Juli 2021 ins mittelalterliche Bernau und erfuhren von Dorothea Meermann. Auf deren Haus saß einst ein Drache, und die resolute Bernauerin hat ihn gefüttert, bis das Ungetier bald durchs Fenster aus- und einflog. Das gab jedenfalls ihr Nachbar Conrad Tiechel bei Gericht zu Protokoll. Und weil die Mutter und die Großmutter der Meermann auch schon als Hexen verbrannt wurden, folterte der Scharfrichter sie mit glühenden Zangen, bis sie verstarb. Das war nicht etwa im finsteren Mittelalter, sondern 1619, in der sogenannten Frühen Neuzeit. Durch Bernau fegte damals eine wahre Hexenjagd. Schließlich verbrannten die Rechtgläubigen auch noch die Tochter der Meermann. Sie hätte ihre Mutter verzaubert, damit diese unter der Folter schmerzfrei einschlafe. Die meisten der 25 Frauen und drei Männer, die zwischen 1536 und 1658 als Hexen getötet wurden, starben zwischen 1617 und 1621.

Heute steht ein Denkmal für die Opfer der Bernauer Hexenverfolgung am Henkerhaus, unweit vom Pulverturm an der Stadtmauer. Dort ist ein Teil des Heimatmuseums untergebracht.

Denkmal für die 28 Opfer der Hexenverfolgung in Bernau. Foto: Stefan Höppe

Am anderen Ende des Städtchens, das Anfang des 19. Jahrhunderts kaum 2.000 Einwohner hatte, also weniger als 10 Minuten entfernt, steht der Hungerturm und das Steintor. Im Hungerturm schmachteten dereinst Gefangene bei Wasser und Brot, oder sie verschmachteten ohne beides.

Dort befindet sich der größere Teil vom städtischen Museum und das original erhaltene Stadttor mit dem Rest eines Zwingers. Hier mögen 1432 die Hussiten angerannt sein, als ihnen die Bernauer kochendes Bier über die Köpfe gossen: wohlschmeckend, haltbar und klebrig süß, wie es eben in der Mark bekannt und beliebt war. Einen ähnlichen Trunk genoss ich dann auch in der Mittagspause. Jedenfalls gelang es den Bernauer*innen, ihre Stadt zu verteidigen. Daran erinnert jedes Jahr im Juni das Hussitenfest.

Das mittelalterliche Bernau wurde im Zweiten Weltkrieg kaum zerstört, aber die DDR-Baupolitik hat viele alten Bauten, vor allem in den 1980er Jahren abgerissen und durch genormte Plattenbauten ersetzt. Heute versucht die Stadt, den Frevel durch eine Aufhübschung vieler Neubauten zu mildern. Aber der Ort hat sich schon grundsätzlich verändert, als er 1858 an die Berlin-Stettiner Eisenbahn angeschlossen wurde. Damit lag er vor unmittelbar vor den Toren Berlins. Mit dem Groß-Berlin-Gesetz von 1920 war die Stadtgrenze zur Metropole keine sechs Kilometer entfernt. Dementsprechend wuchs und wuchs das Städtchen. Heute ist es mit 40 000 Einwohnern fast so groß wie Eberswalde, die größte Siedlung im Landkreis Barnim.

Die Berlin-Stettiner Eisenbahn führte übrigens durch den Soldiner Kiez, ursprünglich dem Verlauf der Grüntaler Straße folgend. Deshalb ist die auch so breit. In der Fortsetzung dieser Strecke nach Süden liegt heute die Brache an der Böttgerstraße, die unsere Urban Gardening-Gruppe „Wilde 17“ bearbeitet. Eine Wandmalerei erinnert an der Ecke Grüntaler Straße / Bellermannstraße an den Staatsmann Heinrich Friedrich von Itzenplitz, der den Eisenbahnbau förderte. Außerdem entspringt auf Bernauer Gebiet unsere allerliebste Panke. Den Soldiner Kiez (e.V.) verbindet also einiges mit Bernau, auch wenn wir nicht an der Panke-Quelle waren. Wir haben uns vielmehr in den malerischen Grünanlagen der ehemaligen Befestigung mit Stadtwall und Gräben verbummelt.

Auch Kleinstadtpflaster macht müde.

Text: Thomas Kilian

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