Recep Aydinlar war wohl der beliebteste QM-Leiter, den wir bisher im Soldiner Kiez hatten. Dieser Quartiersmanager wusste nicht immer von vorneherein alles besser, er verzieh mir jedenfalls auch immer wieder meine schlechte Laune angesichts von Zuständen im Quartier, Bezirk oder manchmal der Stadt, die er auch weiter nicht in Schutz nehmen wollte. Vielleicht hatte er für meine Kritik an manchem sogar zu viel Verständnis. Im Januar hat der Träger Urbanplan ihn nun nach sechs Jahren im Amt auf Veranlassung der Senatsbehörde zum 31. März 2023 gekündigt.
Die offizielle Begründung für die plötzliche Kündigung war aber natürlich nicht seine freundliche Haltung zu den Kiezaktiven: Seit einiger Zeit waren die ihm unterstellten beiden Quartiersmanager:innen immer kürzer geblieben. Zur Jahreswende gingen dann sogar alle zwei Quartiersmanagerinnen gleichzeitig, so dass das Büro nur mit Recep und Johanna Sünnemann, der Webredakteurin, da stand.
Auf den ersten Blick spricht es tatsächlich nicht für Vorgesetzte, wenn ihnen die Leute weglaufen. Es gab bei Recep auch von Anfang an Hinweise, dass er die beim Quartiersmanagement recht umfangreiche Bürokratie nicht liebte. Eine Mitarbeiterin beklagte sich nach der Veröffentlichung der ersten Fassung dieses Artikels vom 24. Februar 2023, er habe sie mit der Verwaltungsarbeit allein gelassen. Nur war diese Kritik intern schon klar, als er noch ein einfaches Teammitglied war. Sie betrifft zudem das Jahr 2017, als sich Recep noch einarbeitete. Er wurde trotzdem zum Leiter berufen. Vielleicht suchte die gesundheitlich bedingt eingeschränkte Vorgesetzte damals eine schnelle Lösung. Nun wird der schwarze Peter weitergereicht.
Recep verweist zudem darauf, dass nicht nur seine Einstellung, sondern auch die Personalentscheidungen für die wechselfreudigen Kolleg:innen die Geschäftsleitung des Trägers Urbanplan getroffen hätte. Allgemein hat die Fluktuation auch an anderen Stellen der Verwaltung angesichts von Fachkräftemangel und höheren Ansprüchen der jungen Generation zugenommen. Die Stadtteilkoordination im Bezirk Mitte droht ja dadurch ebenfalls in die Krise geraten.
Ebenso wie beim QM ist dort der Mythos, durch Arbeit vor Ort neue Impulse zu setzen, für junge Fachkräfte im Vergleich zum Start von Programmen wie Soziale Stadt und sozialräumlicher Politik um die Jahrtausendwende schon ein wenig abgewetzt. Stattdessen lugt das ziemlich bürokratische Unterfutter immer deutlicher hervor.
Jobs im Bereich des Stadtteilmanagements haben sich da immer mehr zu einem Sprungbrett für attraktivere, häufig auch besser bezahlte Stellen entwickelt. Dadurch, jemanden zum Sündenbock abzustempeln, lassen sich solche prinzipiellen Probleme der öffentlichen Verwaltung und ihres staatsnahen Umfeldes jedenfalls nicht lösen.
Viele im Kiez hätten Recep wohl gern bis zu seiner Rente behalten, oder gar länger. Als Soziologe bin ich ein wenig skeptisch, wenn es in Organisationen keine Bewegung gibt. Gerade die öffentliche Verwaltung bringt es ja fertig, Menschen manchmal gar Jahrzehnte im Beförderungsstau stecken zu lassen, aber ihnen im Amt dafür eine Art halbprivates Fürstentum zu überlassen. Dem gegenseitigen Verständnis über die Grenzen der jeweiligen Einheiten hinaus tut diese allgemeine Immobilität natürlich nicht gut.
Der Fall zeigt, dass die Behörden in Berlin wenig Übung in der alltäglichsten Personalentwicklung haben. Denn statt eine sinnvolle Veränderung vorzubereiten und möglichst ohne Schaden für die beteiligten Personen und die Organisation durchzuführen, hat die Senatsbehörde eine kurzfristige Kündigung verlangt. Möglich wird das nur durch die Auslagerung des Quartiersmanagements an Träger, die von den Behörden abhängig sind. Dadurch haben die Ämter für die Quartiersmanager:innen keine Verantwortung, und das Personal in den Vor-Ort-Büros hat auch keine Interessenvertretung. Sie werden im Zweifelsfall zum schwächsten Glied in der Kette. Somit wird Recep nicht nur von einem Tag auf den anderen arbeitslos, er ist auch in seinem weiteren Fortkommen beschädigt, weil nun an ihm der Makel klebt, er wäre unfähig. Kein Wunder, dass er sich gerichtlich gegen die Entlassung wehrt.
Gleichzeitig steht das Büro des Quartiersmanagements nun für Monate mehr oder minder leer. Nun muss erst ein:e neue QM-Leiter:in gefunden werden, bevor die zwei weiteren vakanten Stellen mit dazu passenden Personen besetzt werden können. Nur mühsam wird die Geschäftsführerin von Urbanplan, Cornelia Cremer, das Nötigste neben ihrer Arbeit beim Träger am Laufen halten können, wenn überhaupt. Von einzelnen Quartiersrät:innen ist zu hören, dass sie sich unter diesen Umständen überlegen, aufzuhören oder zumindest bei der nächsten Wahl im Herbst nicht mehr antreten zu wollen.
Die Ära Recep Aydinlar geht mit Schrecken zu Ende, ohne dass dem aus der Sicht des Kiezes ein wirklicher Schrecken vorangegangen wäre. Das hat wohl aus der Perspektive der Senatsbehörde irgendwie anders ausgesehen. Wahrscheinlich ging da einiges an gegenseitiger Verstimmung voraus. Aber die Behörde muss wohl auf der Argumentation mit der hohen Fluktuation bestehen, weil sich nicht alle relevanten internen Konflikte in gleicher Weise von selbst zu Ungunsten von Recep erklären ließen.
Auf einer Versammlung in der NachbarschaftEtage Fabrik Osloer Straße am Dienstag, 14. Februar 2023, falteten der Träger Urbanplan und die Senatsbehörde die letztlich irrelevanten formalen Zuständigkeiten auseinander und bemühten das Narrativ von Receps angeblichen Führungsschwächen. Beide wollten den Unmut der Kiezaktiven abfangen und möglichst schnell zur Besprechung des Krisenmanagements übergehen. Bei uns vom Soldiner Kiez e.V. blieb nicht nur das Gefühl einer Ungerechtigkeit gegenüber Recep und der personalpolitischen Unfähigkeit der Behörde, sondern auch noch der Eindruck, dass den Vertreter:innen des Kiezes kein reiner Wein eingeschenkt wurde. (Autor: Thomas Kilian)
Nachtrag am 2. März 2023: Aufgrund der Fassung vom 24. Februar erreichte uns heute eine Anmerkung einer ehemaligen Kolleg:in von Recep, die sich über die Zusammenarbeit mit ihm beklagte. Wir haben daher den Text im dritten Absatz angepasst. Auch wenn wir als Außenstehende die Vorwürfe nicht wirklich überprüfen können, erscheinen sie glaubwürdig, auch wenn wir Interessen nicht ausschließen können, die über die reine Liebe zur Wahrheit hinausgehen.
Die Klagen bewegen sich jedenfalls für den Öffentlichen Dienst in Berlin und seine Ausläufer absolut im Bereich des Normalen. In der Plattform Kanunu – dort beurteilen Arbeitnehmer:innen anonym ihre Arbeitgeber:innen – werden bei den Berliner Bezirken Vorgesetzte durchgehend als unfähig beschrieben. Auch in gut geführten kapitalistischen Unternehmen mit insgesamt positiver Bewertung (und ebenfalls praktisch unkündbaren Arbeitnehmer:innen) wie Siemens ist eine solche Schmähkritik immerhin noch in der Hälfte der Besprechungen üblich, die das Verhalten von Vorgesetzten betreffen.