Manchmal liegt eine Idee so sehr nahe, dass der Groschen dennoch nicht fällt, oder man sie nicht greifen kann. Aber Ideen kommen auch über einen, und so geschah es Renate Straetling, die im Mai dieses Jahres die Eingebung zu der Bücherlesung „Express durch den Wedding in einer literarischen Lesung“ aufgriff.
Sie selbst lebt seit 2007 im Wedding und hat den Stadtteil mehr und mehr lieben gelernt, ob der Vielfalt, ob der Lebendigkeit und Ernsthaftigkeit fast aller Menschen in unseren Kiezen.
Nach etlichen Lektüren von humorigen und selbstironischen Wedding-Literaturen über das Besondere und das Traditionelle im Wedding, allen voran den Kurzgeschichten der Brauseboys, kamen ihr – heureka!- drängende Ahnung und Impuls für eine Zusammenstellung einer Menge an Texten über unsere so typische städtische und originelle Heimat mit fast 182.000 Einwohner*innen in Wedding und Gesundbrunnen.Im Laufe der Monate entwickelte sie ein umfassendes Konzept für eine fast 2,5-stündige Lesung, die dann als erste dieser Serie in der Schiller-Bibliothek, die zentral zwischen vier markanten Berliner Kiezen im nördlichen Bezirk Mitte – Antonkiez, Sprengelkiez, Brüsseler Kiez und Malplaquetkiez – angesiedelt ist, zu planen und im Laufe der Monate mit Hilfe von sage und schreibe 382 E-Mail-Korrespondenzen nebst weiteren Meetings und Telefonaten zu organisieren: Urheberrechte, Gebührenzahlungen, ein Logo für die Serie hat sie erfunden, Vorleser*innen gewinnen, Textauswahl, Timing, Flyer und Plakate drucken und verteilen, Pressearbeit, Blumensträuße, Reservierung des Event-Ortes und und. Aber das zu tun, ist durchaus bekannt unter den Aktiven im Stadtteil.
Das Wesentliche ist natürlich die Literaturauswahl! Ein Berg Bücher wurde von ihr gekauft und gesichtet, und nachdem eine interessante Auswahl vorlag, musste man die Textstellen wegen einer zweistündigen Veranstaltung auf gut konsumierbare 12 bis 15 Minuten Vorlesezeit einrichten.
Die Bücherlesung begann im Saal der Schiller-Bibliothek in der Taghelle und schloss abends etwa um 19:30 ab, als die Stehleuchten draußen im Lesegarten in ihren schönen Pastellfarben strahlten. Es wurden gegeben im ersten Teil der Lesung Texte aus dem Wedding, die dem 20. Jahrhundert zuzuordnen sind. Hierzu gehörten vor allem der Mundartdichter Jonny Liesegang und der große Hans Fallada, dem eine besondere Rolle für den Wedding mit seinem 700-seitigen weltberühmten Roman „Jeder stirbt für sich allein“ zukommt, den er kurz vor seinem frühen Tod verfasst hatte.
Und vor allem Jonny Liesegang, ein Schriftsteller und Illustrator, der sein gesamtes Leben im Wedding verbrachte, wurde von Frank Sorge, einem der Schriftstellergruppe der Brauseboys, auf Berlinerisch vorgelesen. Denn Frank Sorge ist geborener Moabiter, und man konnte nur hoffen, dass die Zuschauer*innen so viel Mundart noch verstehen. Eine Kurzgeschichte, die die Aufgeregtheit der alten Berliner so richtig doll dramatisiert und mit keiner menschlichen Pointe spart!
Weitere Beiträge schilderten das Berliner Leben anders gearteteter Zeiten während der Wirtschaftskrise Ende der 1920er/Anfang 1930er Jahren und zudem der späteren Mauerzeit mit der Teilung der Stadt Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg.