Irgendwann gerät fast ein:e jede:r, der:die publiziert, mit dem Urheberrecht aneinander. Da mischen sich Unachtsamkeit und die mangelnde Logik des Rechtsinstituts. Nun hat es auch den Soldiner Kiez e.V. erwischt. Wir haben Anfang des Jahres 1287,03 € an einen Rechteinhaber für Landkarten bezahlen müssen. Kompetente Anwälte versicherten uns, dass juristische Gegenwehr sinnlos sei. Der Verein hatte nämlich für die inzwischen eingestellte Internetzeitung „Soldiner Kiez Kurier“ die rechtliche Verantwortung übernommen. Dort hatte der Bearbeiter, ein ehemaliger Aktiver des Vereins, die Lage der Carl-Kraemer-Schule in der Zechliner Straße mit einem geschützten Kartenausschnitt verdeutlicht.
Wir wollen hier diesen Verlust zur Kenntnis geben, aber auch anmerken, warum wir dieses Vorgehen für eine illegitime Durchsetzung des Urheberrechts halten, und warum wir das Urheberrecht in seiner gegenwärtigen Form als einen philosophischen Irrtum betrachten, dem der:die unbedarfte Bürger:in mit einer gewissen Zwangsläufigkeit immer wieder ins Messer laufen muss.
Der Rechteinhaber hat im großen Stil Lizenzen für Landkarten aufgekauft, als diese ihren Wert verloren, weil im Internet jederzeit ein Verweis auf kostenlose Seiten mit Karten möglich ist. Seit einiger Zeit bietet das Google im großen Stil an. Der Rechteinhaber verdient sein Geld wohl nicht mit dem tatsächlichen Verkauf der Karten, sondern vielmehr mit anwaltlichen Drohbriefen. Mithilfe von speziellen Programmen, sogenannten Robotern, wird im Netz nach Veröffentlichungen dieser Karten gesucht, um sie dann den Verantwortlichen für diese leichtfertige Veröffentlichung in Rechnung zu stellen. Dabei macht die eigentliche Nutzung des Kartenausschnittes bei uns nur 400,- € aus. Dicke wird die Sache durch die Anwaltsgebühren von 887,03 €, die für jede dieser Rechnungen aufgeschlagen werden darf, obwohl die juristische Belehrung und Androhung erstens seriell erstellt und zweitens unter Kaufleuten nicht zwingend notwendig ist. Es ist also eine überflüssige und minderwertige Leistung teuer zu bezahlen. Aus unserer Sicht haben sich Anwalt und Rechteinhaber eine parasitäre Existenz im Schutze des Urheberrechtes aufgebaut. Allein, dass dies möglich ist, spricht gegen das gegenwärtige Recht, das geistige Errungenschaften als eine Art dingliches Eigentum betrachtet. Philosophisch und historisch logisch ist das Urheberrecht ohnehin nicht. Vielmehr haben die Rechte der Schöpfer:innen von Texten oder bildlichen Darstellungen bis heute keine angemessene juristische Form gefunden.
Das dingliche Eigentum beruht darauf, dass es eine Sache ist, die sich bei ihrer Verwendung verbraucht. Mensch kann es nicht weggeben und gleichzeitig behalten. Mit Texten oder Bildern ist das anders. Lediglich das Trägermaterial kann kaputt gehen. Das spielt aber seit dem Buchdruck und dann dem Film und schließlich dem Computer immer weniger eine Rolle. Angesichts des Films sprach der Philosoph Walter Benjamin (1892 – 1940) vom „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. Der:die Schöpfer:in von solchen Werken hat auch nicht nur ein finanzielles Interesse, ihm:ihr ist auch an der Verbreitung seiner Inhalte gelegen. Als ein Eigentumsrecht für Urheber:innen im 18. Jahrhundert erstmals diskutiert wurde, gab es zumindest unter den besonders betroffenen Schriftsteller:innen auch so manche:n Gegner:in eines Nachdruckverbotes, weil sie lieber gelesen als bezahlt werden wollten. Auch heute noch stellen viele Künstler:innen ihre Werke der Öffentlichkeit zur Verfügung, ohne auf eine rechte Bezahlung hoffen zu dürfen.
Von alters her gab es nur die Regel, dass mensch sich nicht mit fremden Federn schmücken solle, also den:die wahre:n Urheber:in zu nennen habe. Ansonsten hatte sowieso nur ein kleiner Anteil der Menschheit die Gelegenheit, geistige Werke zu schaffen. Diese lebten dann vom Mäzenatentum verständiger, reicher Leute. Mit der Moderne ab dem 18. Jahrhundert explodierte der Bedarf an unterhaltenden, erbauenden und informierenden Texten und Bildern. Das Mäzenatentum reichte als ökonomische Grundlage nicht mehr aus. Dem entstehenden kapitalistischen Geist lag es natürlich nahe, geistige Werke in eine unzutreffende Warenform zu zwängen und damit zu einer Art Privateigentum zu erklären, über das der:die Urheber:in beliebig verfügen könne. Zwei Details zeigen die Unmöglichkeit, diese Regelung für generell zu erklären. Einmal blieb die Grundlagenforschung frei. Hier muss mensch nur zitieren. Die Möglichkeit, Ergebnisse zu privatisieren und ihre Nutzung einzuschränken, wäre ein Hindernis für den Fortschritt gewesen. Die Versorgung der Wissenschaftler:innen erfolgt mäzenatengleich, aber damit auch politisch kontrolliert, über den Staat. Zum anderen verjährt das geistige Eigentum: Goethe gehört also nicht allein seinen Erb:innen, sondern der ganzen deutschen Kultur, ja der Welt. Bald können auch die berüchtigten Brechterb:innen nicht mehr gegen unliebsame Inszenierungen klagen.
Die meiste Kritik am Urheberrecht greift nicht so tief, dass es die Frage nach der Versorgung der Schöpfer:innen geistiger Werke stellt. Wenn doch, sind die oft schlecht verdienenden Utopist:innen schnell bei der Vorstellung einer beamtenähnlichen Stellung. Wer den entsprechenden wissenschaftlichen oder künstlerischen Betrieb kennt, mag da skeptisch sein. Die Erfahrungen im Ostblock schrecken vollends ab. Dort führte die Alimentierung der Kreativen in Abhängigkeit und Unfreiheit. Alternative Möglichkeiten einer auch finanziellen Selbstverwaltung von Kultur und Wissen sind kaum diskutiert. Es soll hier auch keine kurzschlüssige Lösung propagiert werden. Wir geben auch zu, dass wir dem:der Leser:in den Unterschied zwischen Urhebertum und den handelbaren Nutzungsrechten erspart haben. Wichtiger für uns ist aber erst einmal die Einsicht in den schillernden, geradezu unlogischen Charakter der Rede vom geistigen Eigentum. Diese Verwirrtheit führt denn auch dahin, dass sich im Gegensatz zum gemeinen Diebstahl kaum ein Unrechtsbewusstsein ergibt, wenn wir geistige Werke zitieren oder zu ihrer Verbreitung beitragen. Wir als Soldiner Kiez e.V. zahlen unser Lehrgeld also nicht für ein akzeptiertes Unrecht, sondern für die Unfähigkeit der Gesellschaft, die Produktion und Verbreitung von unterhaltenden und informierenden Texten und Bildern sinnvoll und einsichtig zu regeln.