Gott wohnt im Wedding – wo sonst?

Regina Scheer und stefan Höppe im Gespräch. Foto: von Hoff

Mit Regina Scheer hat der Soldiner Kiez e.V. eine Autorin zum „Talk im Kiez“ am 9. Januar 2020 eingeladen, die Geschichte zu erzählen weiß. Das gilt für ihre Sachbücher und ihre zwei Romane, darunter dem aktuellen Buch „Gott wohnt im Wedding“, aber auch für ihre eigene Lebensgeschichte. Moderator Stefan Höppe musste die Historikerin nur anstupsen, und sie breitete ihre Lebensgeschichte ausführlich vor dem dicht gedrängten, 30-köpfigen Publikum im Weinlokal „Holz und Farbe“ aus.

Für die jüngeren und manche/n aus dem Westen der Republik war das nicht zuletzt spannend, weil Regina Scheer 1950 in Ostberlin geboren und dann dort aufgewachsen ist. So erfuhren sie von den Nischen in der parteiamtlichen Jugendorganisation FDJ, aber auch von den politischen Eingriffen in deren kritischere Publikationen wie dem „Forum“ und dem „Temperamente“, für die Scheer arbeitete. Ihr erster, preisgekrönter und gut verkaufter Roman „Machandel“ setzt sich denn auch mit systemkritischen Christ/innen aus Pankow auseinander. Dort lebte sie selbst über das Ende der DDR hinaus dann noch bis 2006. Schließlich vertrieben sie die steigenden Mieten in den Wedding.

Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik war für die Autorin von einem persönlichen Schicksalsschlag überschattet: Dem Tod ihres Mannes. Gleichzeitig bedeutete die Vereinigung für sie wie für viele Kulturschaffende einen schwierigen Neuanfang: Die Konkurrenz in einer marktwirtschaftlichen Publizistik stieg sprunghaft, Geld wurde im Gegensatz zum Leben in der DDR auf einmal eine bestimmende Größe.

Als Autorin war Regina Scheer aber bald in der neuen Umwelt angekommen. Seit ihrem Erstling „Ahawah“ über die jüdische Vorgeschichte ihrer ehemaligen Schule in der Auguststraße, erschienen 1992, ist sie Berliner Themen verpflichtet. Sobald sie im Wedding lebte, nicht zuletzt den Geschichten aus diesem Bezirk. Scheer sammelt dabei seit jeher ihre Anregungen nicht nur aus der Literatur und den Archiven, sondern auch, indem sie die Menschen befragt, vor allem die älteren Zeitzeug/innen. Ehrenamtlich hat sie das Erzählcafé in der Malplaquetstraße geleitet, eine Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum der von ihr als paternalistisches Almosenprojekt kritisierten „Schrippenkirche“ verfasst und schließlich den letztes Jahr veröffentlichten Roman „Gott wohnt im Wedding“ geschrieben.

Die Geschichten in diesem Buch ranken sich um ein Haus in der Utrechter Straße: Im Zentrum steht das Schicksal der dort nach der weitgehenden Entmietung einziehenden Roma. Gemeinsam mit der Sinti Laila und der fast hundertjährigen Gertrud bilden sie den Kern einer solidarischen Hausgemeinschaft. Hinzu tritt Leo aus Israel. Der in Berlin aufgewachsene Jude hatte sich mit seinem Freund Manfred im Zweiten Weltkrieg vor den Nazis versteckt. Dabei half seinerzeit auch Gertrud. Aber es besteht auch der Verdacht, dass sie Manfred verraten hat.

Das Buch ist zur Zeit vergriffen. Und zumindest in der Bibliothek im Luisenbad besteht eine Reihe von Vormerkungen. Aber der Roman soll demnächst neu aufgelegt werden. Auch von einer preisgünstigeren Taschenbuchausgabe im April ist die Rede. Erschienen ist „Gott wohnt im Wedding“ im Penguin Verlag München.

Der „Talk im Kiez“ wurde wie immer von unserem Medienpartner „Soldiner Kiez Kurier“ gefilmt. Er  wurde auf dem YouTube-Kanal des lokalen Blocks veröffentlicht. Hier gibt es hier einen direkten Link zum Film. (Autor: Thomas Kilian)

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1 Antwort zu Gott wohnt im Wedding – wo sonst?

  1. Ich habe Ihren Artikel mit Interesse gelesen. Torey Salomo Pazit

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